Geschichte Arbeiter*innenbewegung

Arbeiter*innenbewegung kann zweierlei verstanden werden. Zum einen ist damit die historische Massenbewegung von Arbeiter*innen gemeint, die für ein politisches Mitspracherecht und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen einstanden. Zum anderen gehören zu der Arbeiter*innenbewegung auch die Organisationen, die dafür kämpfen jene Forderungen der Arbeiter*innen umzusetzen, damals wie heute. Insbesondere meint dies Gewerkschaften und Parteien.[1]

Als Projektteam ist uns bewusst, dass in den frühen Zeiten der Bewegung vor allem Männer sichtbar waren. Dennoch verwenden wir den Begriff „Arbeiter*innenbewegung“, um zum einen deutlich zu machen, dass auch die Kämpfe der Arbeiterinnen in dieser Tradition stehen. Zum anderen – und dieser Punkt erscheint uns noch viel wichtiger – haben Frauen durch ihre reproduktive Sorgearbeit den Kampf in vielerlei Hinsicht erst ermöglicht. Und waren somit von der ersten Stunde ein wichtiger, wenn auch jahrelang unsichtbarer Teil, dieser Bewegung. Die Eigenbezeichnung von Organisierungen und Verbänden, werden beibehalten (bspw. „Bund der Kommunisten“ oder „Allgemeiner Deutscher Arbeiterverband“).

Zur Betrachtung der Arbeiter*innenbewegung hilft ein Zeitstrahl[2], der die einzelnen Kapitel beleuchtet:

1830     Der Beginn der Arbeiter*innenbewegung

Im Laufe der 1830er Jahre wurden erste Arbeiterorganisationen gegründet. Sie verfolgten das Ziel der Selbsthilfe. Damit ist gemeint, dass Arbeitern im Krankheitsfall oder ihren Familien im Todesfall eine finanzielle Unterstützung zukommt. Zudem wurden wandernde Handwerksgesellen unterstützt. Zusätzlich wurden Bildungsvereine gegründet, zur politischen und gesellschaftlichen (Weiter)Bildung der Arbeiter.

Die Gründung dieser ersten Organisationen geben jedoch keine ausreichende Antwort auf die Unzufriedenheit jener Zeit. Die 1840er Jahre waren geprägt von Unruhen, Stürmungen von Betrieben und vereinzelnd ersten Streiks und Boykottierungen. Kaum etwas prägte die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung so sehr, wie diese neuen Kampfformen.

Tagelöhner und Heimarbeiter waren kaum vertreten. Für eine Arbeiterorganisation zu kämpfen, war in dieser Zeit sowohl ein finanzielles als auch ein soziales Privileg. Es waren vor allem Handwerksgesellen, die in und mit diesen Organisationen kämpften. Sie verstanden die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse als Angriff auf den eigenverantwortlichen Aufstieg in ihrer Zunft und die zunehmende Industrialisierung als Entwertung ihrer handwerklichen Qualität.

So waren es auch die Gesellen, die die ersten Vereine gründeten, wie beispielweise den „Bund der Gerechten“ 1837, der später auch „Bund der Kommunisten“ genannt wurde. Dieser bezog sich in seinen politischen Forderungen stark auf die Thesen, die durch Karl Marx und Friedrich Engels im „Kommunistischen Manifest“ 1848 veröffentlicht wurden.

Marx und Engels sahen den Beginn von dem Zeitalter der Klassenkämpfe. Im Kapitalismus, der geprägt ist von Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter und der Herrschaft des Bürgertums, würde sich die Gesellschaft in zwei Lager spalten: Bourgeoisie (das Bürgertum) und Proletariat (die Arbeiter).

Das Proletariat würde im voranschreitenden Kapitalismus immer stärker werden, so die These von Marx und Engels. Der Sturz der Bourgeoisie und die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat wäre das Ziel des Kommunismus.

„Möge die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ (Schlusssätze „Kommunistisches Manifest“).


1848     Revolution & Organisation

Die Märzrevolution 1848 politisierte weite Teile der Bevölkerung. Auf die Barrikaden gingen aber vor allem wieder Handwerker und Arbeiter. Es entstand der Eindruck, die Monarchie müsste jetzt der Demokratie weichen und dieser Moment sollte ein erster großer Durchbruch für die Arbeiter*innenbewegung sein. Vielerorts entstanden jetzt Arbeiter- und Gesellenorganisationen, sowie auch erste Gewerkschaften.

Am 18. Mai 1848 wurde mit der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche das erste gesamtdeutsche demokratisch gewählte Parlament ins Leben gerufen.

Mit dem Niederschlag der Revolution im Juli 1849 verschwand der Hauch von Demokratie zunächst wieder. Nur zwei Jahre später gaben Adel, Bürgertum und Militär eine Antwort auf die Revolution, indem sie Vereine und Organisationen der Arbeiter verboten und ihre Anführer politisch verfolgten. Mit neuen Gesetzen versuchte der Staat die schlimmsten sozialen Missstände zu mildern. Diese eher halbherzige Sozialreform, die Zerschlagung der eigenen Strukturen und die stetige Unterdrückung führten zwangsläufig zu einer Politisierung der Arbeiter*innenbewegung.


1863      Gründungsjahre: Parteien & Gewerkschaften

Es herrschte ein neues politisches Klima in den 1860er Jahren. Neue demokratische Reformgesetze wurden auf den Weg gebracht und ermöglichten die Gründung von Gewerkschaften. Allen voran ist hier die Aufhebung des Koalitionsverbots zu nennen. Das Koalitionsverbot stellte Verabredungen zur Erlangung besserer Lohn- und Arbeitsverhältnisse unter Strafe. Insbesondere meinte dies Streiks und Vereinigungen zur Interessenvertretung der Arbeiter.

Mit der Aufhebung dieses Gesetzes entfachte sich eine Gründungswelle von Interessensverbänden. Konflikte mit Arbeitgebern beschleunigten den Gründungsprozess, so beispielsweise der Leipziger „Dreigroschenstreik“ 1865 und die folgende massenhafte Solidaritätsbewegung für die streikenden Buchdrucker. Nahezu alle neugegründeten Berufsverbände hatten Erfahrungen im praktischen Arbeitskampf. So löste die Streikwelle 1865-1873 einen „Gründungsboom“ aus, wie auch der erste Massenstreik der Bergleute 1872.

Hauptprotagonist in den Verbänden und Gewerkschaften waren immer noch die Gesellen und Arbeiter. Schon bald versuchten Gewerkschaften auch an- und ungelernte Arbeiter zu organisieren. Jedoch stellte sich die gemeinsame Organisierung verschiedener Ränge als schwierig heraus. Ähnlich schwierig zeigte sich die Gewinnung von Arbeiterinnen, da hier auch oft das geltende Vereinsrecht (welches nur Männern zustand) überwunden werden musste.

Die Organisierungslandschaft war in den 1860er und 1870er Jahren somit sehr heterogen. Es existierten lokale und überregionale Strukturen, nach Beruf und Geschlecht getrennt oder aber auch vereint. Verbände, die kurzfristig aus Streiks entstanden und solche, die mit einer dauerhaften Perspektive gegründet wurden. Zudem waren die Gewerkschaften oft in die unterschiedlichen politischen Strömungen und Parteien jener Zeit eingebunden.

Aus den verschiedenen politischen Positionierungen bildeten sich drei größere Gewerkschaften heraus.

Die Arbeiterschaften standen der im Jahr 1863 von Ferdinand Lasalles gegründeten ADAV (Allgemeinen Deutschen Arbeiterverbund) nahe.

Die Internationalen Gewerkschaftsgenossen orientierten sich an der von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründeten SDAP (Sozialdemokratischen Arbeiterpartei).

Die liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine folgten dem Modell, angelehnt an die englischen Gewerkschaften von Max Hirsch und Franz Duncker.

Mit Blick auf die Mitglieder zeigt sich, dass diese drei Strömungen nicht nur Ausdruck politischer sondern auch sozialer Differenzen waren. 1870 werden insgesamt ca. 78.100 Gewerkschaftsmitglieder gezählt.


1890      Massenorganisation?

Die junge Gewerkschaftsbewegung wurde nach ihrer Gründung mit großen Ereignissen konfrontiert. Allen voran war da der deutsch-französische Krieg (1870 – 1871), an dessen Ende die Gründung des Deutschen Reichs steht. Hinzukamen ideologische Konflikte zwischen den drei großen Gewerkschaften und auch zahlreiche Auseinandersetzungen innerhalb der eigenen Gewerkschaft. Zudam gab es verlorene Arbeitskämpfe und die Bekämpfung der Gewerkschaften durch Gesetze, die ihr politisches Handeln einschränkten und kriminalisierten. Nach der Verabschiedung des Sozialistengesetzes von 1878 werden die Gewerkschaften von einer Verbotswelle überrollt. Trotz staatlicher Unterdrückung wird 1880 mit dem Wiederaufbau von Gewerkschaften begonnen. Viele werden1888 erneut verboten, bleiben aber handlungsfähig. Der Streik ist das politische Kampfmittel der Wahl: Zwischen 1888 und 1890 werden 670 Streiks gezählt.

Die Konfrontation mit diesen Problemen führte zu einem Umdenken. Die Gewerkschaften erkannten, dass ihre obersten Ziele – der Schutz der Arbeiter und die Machteinschränkung der Arbeitgeber – nur zu erreichen seien, wenn es eine gemeinsame berufsübergreifende Organisationgäbe. Im November 1890 wird als Konsequenz die „Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“ unter dem Vorsitz von Carl Legien gegründet.

Im März 1892 wird auf dem Gewerkschaftskongress in Halberstadt beschlossen, Zentralverbände zu gründen. Dies ist ein richtungsweisender Beschluss für eine Dachorganisation mit eingegliederten Industrieverbänden. Ein zweiter weitreichender Beschluss wird in Halberstadt gefasst: Die Anwerbung von Frauen sei ein „Gebot der Selbsterhaltung“. Frauen soll die Aufnahme ermöglicht werden, auch wenn das eine Änderung der Statuten bedeutet.

Wilhelmine Kähler vom Verband der Fabrik- und Handarbeiterinnen wird auf dem Kongress als erste und einzige Frau in die Generalkommission gewählt. In den folgenden Legislaturen der Generalkommission ist keine Frau vertreten. Auf dem 5. Gewerkschaftskongress wird beschlossen, die Frauenwerbung erneut zu stärken und ein Arbeiterinnensekretariat zu schaffen. Doch die männliche Vorherrschaft bleibt ungebrochen.

Mit Wachstum der Organisation erhält auch die Bürokratisierung Einzug in dem Gewerkschaftsapparat, die wachsende Anzahl von Gewerkschaftshäusern ist ein Symbol für diesen Prozess. Der Beruf des Gewerkschaftsfunktionärs entstand und blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Gewerkschaftsführung.

Zusammenfassend für das Ende des 19. Jahrhunderts lässt sich sagen, dass sich die Grundstrukturen der modernen gewerkschaftlichen Massenorganisation und ein erstes gewerkschaftliches Selbstverständnis bildeten. Es kam zu intensiven Debatten, vor allem zum Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und den Parteien und Kirchen.


1914      1. Weltkrieg

Eine Anti-Kriegshaltung wurde von Teilen der Gewerkschaftsbewegung zur Jahrhundertwende laut, war jedoch nicht überzeugend und auch nicht von langer Dauer. Alle Gewerkschaften schlossen sich dem „Burgfrieden“ an, der im August 1914 von Kaiser Wilhelm II ausgerufen wurde. Damit ist die Beilegung der innenpolitischen Konflikte mit Blick auf die Mobilmachung zum Krieg gemeint. Die Generalkommission erklärte, während des Krieges auf Lohnbewegungen und Streiks zu verzichten.

Die bereits vor dem Krieg aufgenommene Spannung zwischen Gewerkschafsmitgliedern und Gewerkschaftsführung verschärfte sich in der zweiten Kriegshälfte. Der Unmut über den „Burgfrieden“ wuchs stetig. Die Gründung der USDP (Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands) durch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als Spaltungsprodukt der SPD brachte auch eine Spaltung der Gewerkschaften mit sich. Auf der einen Seite unterstützte die Führung der freien Gewerkschaften weiterhin die SPD, auf der anderen Seite sympathisierten aktive Gewerkschaftler*innen mit der USDP. In dieser angespannten Zeit nahmen Proteste und Streiks gegen Hunger und Not zu. Am 29. September 1918wurde eingestanden, dass der Krieg verloren war. Militärisch wurde ein sofortiger Waffenstillstand gefordert. Politisch wurde versucht, die Gewerkschaften und Parteien durch Reformen wieder einzubinden. Dieser Versuch scheiterte. Die Revolution brach aus.


1918      Revolution & Demokratisierung

Matrosen in Kiel verweigerten den Befehl gegen England in die Schlacht zu ziehen. Die Verantwortlichen dieser Meuterei wurden von der Marine verhaftet. Anfang November 1918 zogen daraufhin Matrosen, Arbeiter und Soldaten in Demonstrationszügen durch die Stadt und forderten die Freilassung der Gefangenen und eine Veränderung in Politik und Gesellschaft. Aus dem Kieler Matrosenaufstand entwickelte sich die Novemberrevolution, in deren Verlauf Kaiser Wilhelm II abdankte und die Weimarer Republik ausgerufen wurde. 

Die Ära der Monarchie war beendet und die Macht fiel den Sozialdemokraten zu. Aus Vertretern der MSPD und USPD wurde der Rat der Volksbeauftragten gegründet. Parallel liefen Verhandlungen zur Organisierung der Nachkriegswirtschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften.

Ergebnis dieser Verhandlungen war das Novemberabkommen. Mit diesem Abkommen wurden Gewerkschaften als berufene Vertreter der Arbeiter anerkannt. Weitere Vereinbarungen, die im Abkommen festgehalten wurden, sind: rechtliche Bindung von Tarifverträgen, die 48-Stunden Arbeitswoche und die Gründung einer gemeinsamen Kommission (ZAG = Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands).

Das Abkommen stieß bei großen Teilen der Gewerkschaften auf Zustimmung. Die Grundprinzipien des Novemberabkommens fanden schließlich Eingang in die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Damit war zunächst der rechtliche Grundstein der Gewerkschaftsarbeit gelegt.

Die 1920er waren von einer wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung geprägt. Und auch die Gewerkschaften erlebten eine „Blütezeit“. Die Mitgliederzahlen stiegen und die Organisationen wurden neu aufgebaut. Doch der Erfolg war nur von kurzer Dauer.

Die Weltwirtschaftskrise von 1929 traf vor allem Arbeiter*innen und ihre Familien. Wer noch Arbeit hatte, musste mit deutlich weniger Lohn auskommen. Wer seine Arbeit bereits verloren hatte, litt Not. Die Gewerkschaften erlitten einen massiven Mitgliederverlust. Neben den Arbeitslosen verließen vor allem die jungen Mitglieder und die Frauen die Gewerkschaften.


1933      Zerschlagung & Widerstand

Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Hiermit begann die Abschaffung der ersten deutschen demokratischen Republik.

Mit einem Aufruf zur Besonnenheit ihrer Mitglieder versuchten die Gewerkschaften Teil des neuen Regimes zu sein, um ihre Organisationen zu retten. Sie stellten sich damit gegen den Aufruf zum Generalstreik der KPD (Kommunistischen Partei Deutschlands).

Doch war die Arbeiter*innenbewegung keineswegs zu einem geschlossenen Handeln fähig. So unterzeichneten einige Gewerkschaften die kritische Stellungnahme zu Hitlers Regierungsantritt, wohingegen andere Gewerkschaften Hitler zur Ernennung gratulieren. Die tiefe Spaltung ließ einige Mitglieder zu nationalsozialistischen Organisationen übertreten.

Nach und nach passten sich gewerkschaftliche Strukturen dem neuen Regime an – bis hin zur Selbstaufgabe. Höhe- und zugleich Schlusspunkt der Anpassungspolitik der Gewerkschaften waren die Aufrufe zum „Tag der nationalen Arbeit“ am 1. Mai 1933. Einen Tag später, am 2. Mai 1933, wurden alle wichtigen Gebäude des ADGB (Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes) und der Einzelgewerkschaften von SA- und SS-Trupps besetzt. In den folgenden Monaten und Jahren wurden tausende Gewerkschafter*innen verhaftet, gefoltert und ermordet. Nach der Zerschlagung der großen Gewerkschaften und der Gleichschaltung aller weiteren gewerkschaftlichen Strukturen übernahm die DAF (Deutsche Arbeiterfront) alle Häuser und Vermögen.

Einige Strukturen begannen nach der Zerschlagung, den gewerkschaftlichen Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu organisieren. Die Formen des gewerkschaftlichen Widerstands waren vielfältig. Sie reichten von dem Versuch ein Netzwerk von Vertrauten aufrechtzuerhalten, über die Informationsbeschaffung und politische Aufklärung gegen die NS-Propaganda bis hin zu Widerstandsgruppen in einzelnen Betrieben. Es wurde gar der Versuch seitens der kommunistischen Gewerkschaften unternommen, ihre Strukturen im Untergrund aufrecht zu erhalten.

Der Widerstand forderte einen hohen Preis. Tausende von Frauen und Männern wurden aus politischen Gründen verfolgt, inhaftiert, gefoltert und ermordet. Dazu zählten viele Gewerkschafter*innen.


1945      „Neu“ Gründungen

In den ersten Stunden der Nachkriegszeit begannen die gewerkschaftlichen Akteure wieder mit ihrer politischen Arbeit. Schon früh werden Gewerkschaften neugegründet, Betriebsräte eingesetzt und Fabriken wiederaufgebaut.

1948 gründete sich das erste zentrale Gewerkschaftsgremium in der Westzone. Zunächst akzeptierten die Amerikaner und Briten eine gemeinsame gewerkschaftliche Organisierung in der „Bizone“. Nach Zustimmung der französischen Zone wurde diese zur „Trizone“ ausgeweitet.

In der sowjetischen Besatzungszone ging der Neuaufbau der Gewerkschaften schneller voran. Bereits im Februar 1946 fand der Gründungskongress des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) statt. Im Jahr 1947 zählte der FDGB vier Millionen Mitglieder, davon 1,2 Millionen Frauen.

1948 gründete sich auch die Bildungsvereinigung Arbeit und Leben, um den demokratischen Neuaufbau mit Schulungs- und Weiterbildungsangeboten für Arbeitnehmer*innen zu unterstützen.


1950      OST: Feuer und Flamme für den Sozialismus

Im Laufe der 1950er Jahre erreichte die FDGB eine Mitgliederzahl von 6,1 Millionen; das entspricht einem Organisationsgrad von 91,7 Prozent.

Neben den klassischen gewerkschaftlichen Aufgaben wie Arbeitsschutz, betriebliche Organisation und Sozialpolitik im Interesse der Arbeitnehmer*innen organisierte die regierungsnahe FDGB auch das gesellschaftliche Leben mit sportlichen und kulturellen Angeboten.

Als am 13. August 1961 das SED-Regime den Mauerbau verkündete, ließ der FDGB seine Mitglieder wissen:

„Die Gewerkschaften betrachten diese Maßnahmen als weiteren wirksamen Schritt zur Sicherung des Friedens in Deutschland und zur Bändigung des westdeutschen Militarismus durch die Festigung der Deutschen Demokratischen Republik. Die Arbeiter- und Bauern-Macht und ihre Regierung können sich auf die Gewerkschafter der Deutschen Demokratischen Republik verlassen. Nach Arbeiterart werden sie noch entschlossener und wirksamer die Sache des Friedens und des Sozialismus verteidigen.“

1950      WEST: Hoffnung auf Mitbestimmung

Als Dachverband der Einzelgewerkschaften wurde der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gegründet. Die Hoffnung war groß, die Neugestaltung der Wirtschaft und Politik beeinflussen zu können. Mit den ersten freien Wahlen zum Deutschen Bundestag und dem knappen Wahlerfolg der CDU/CSU wurden jedoch die Spielräume des SPD-nahen DGBs deutlich eingeschränkt.

Mitte der 1950er Jahre gründeten Mitglieder, die der CDU/CSU und damit der Adenauer-Regierung nahestanden, zusammen mit anderen christlichen Arbeitervereinen den Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB).

Trotz erster Erfolge in der Tarif- und Sozialpolitik schwächte die Spaltung den DGB. Die Mitgliederentwicklung blieb hinter den Erwartungen zurück. Der vielleicht wichtigste sozialpolitische Erfolg war die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die 1957 mit einem 16-wöchigen Streik erkämpft wurde.


1961      OST: Hinterm eisernen Vorhang

Anders als im Westen folgte der große Gewerkschaftsbund im Osten der Linie der Regierung. Ob aus Überzeugung oder weil er keine andere Wahl hatte,  der FDGB benannte die Steigerung von Produktion und Produktivität als ihr oberstes Ziel. Mit großem Aufwand wollte man die Wirtschaft pushen, um gegen die kapitalistische Konkurrenz im Ausland zu bestehen.

Gleichzeitig übernahm der FDGB eine Mitverantwortung für die moralische und ideologische Erziehung ihrer Mitglieder im Sinne der SED-Regierung.

Auf dem 6. FDGB-Kongress im November 1963 sprach der Vorsitzende Herbert Warnke vom FDGB als „Schule des Sozialismus“, dessen Aufgabe es sei, „das sozialistische Bewusstsein der ganzen Klasse“ zu heben und „die schöpferischen Kräfte aller Werktätigen in die aktive Teilnahme am Aufbau des Sozialismus“ einzubeziehen.

Trotz der Nähe zur Regierung konnte der FDGB einige weitreichende sozialpolitischen Erfolge erreichen; Verkürzung der Arbeitszeit, Verlängerung des Urlaubs und Einkommenssteigerungen.

Mitte der 1960er Jahre versuchte der FDGB, Kontakt zu Einzelgewerkschaften im Westen aufzunehmen. Besonderes Interesse galt hier der IG Druck und Papier und der IG Metall. Ein erstes Treffen mit dem DGB fand im Oktober 1972 in Ost-Berlin statt. Aufgrund der Befürchtung eines „negativen Einflusses“ dieser Kontakte intensivierte der FDGB seine politisch-ideologischen Schulungen.

1972 stieg die Mitgliederzahl auf 7,3 Millionen, wovon knapp die Hälfte Frauen waren. Auf dem 7. FDGB-Kongress im Mai 1968 wurde mit Johanna Töpfer erstmals eine Frau zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.


1969      WEST: Politischer Aufbruch / Erfolgsjahre der Gewerkschaften 

Mit der Wahl von Willy Brandt zum ersten sozialdemokratischen Kanzler erlebte der DGB eine echte Aufbruchsstimmung.

Durch die vorangegangene Große Koalition und die jetzt regierende sozial-liberale Koalition wurden viele Reformen, ganz im Sinne der Gewerkschaften, auf den Weg gebracht. Darunter das Arbeitsförderungsgesetz und das Lohnfortzahlungsgesetz.

Trotz dieser Erfolge und der Verbundenheit zur SPD, mussten die Gewerkschaften die Interessen ihrer Mitglieder im Auge behalten und beharrten konsequent auf weitere Sozialreformen. Anfang der 1970er Jahre erstritten sie in mehreren Branchen eine Lohnsteigerung von über 10 Prozent.

1974 stieg die Mitgliederanzahl des DGB auf 7,4 Millionen.


1989      Einheit gemeinsam gestalten

Der Weg zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten überschattete ab dem Jahreswechsel 1989/1990 alle anderen politischen Fragen.

Im Westen begleiteten die Gewerkschaften den Prozess. Sie legten der Regierung einen Katalog an Forderungen vor, der die Interessen der Arbeitnehmer*innen bei und nach der Vereinigung schützen sollte.

Im Osten hielt der FDGB bis zum Ende Honecker die Treue. Noch im Herbst 1989 zeigten verschiedene Reden von Gewerkschaftsfunktionär*innen, dass sie glaubten, ihr Regime bewahren zu können. Nach der Ablösung Honeckers versuchte der FDGB, in neuer Leitung von Annelies Kimmel, sich aus der Abhängigkeit des (noch bestehenden) SED-Regimes zu lösen und auch mögliche Kooperationen mit dem DGB auszuloten. Dies führte zu Unstimmigkeiten und Spaltung.

Mit dem Beschluss zur Deutschen Einheit stellte sich nicht mehr die Frage nach einer Kooperation zwischen DGB und FDGB, sondern die des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses.

Nach mehreren Gesprächen bekannte sich der DGB am 09. Mai 1990 zum Ziel einer einheitlichen deutschen Gewerkschaftsbewegung unter dem Dach des DGB. Am gleichen Tag machte der Sprecherrat der FDGB-Einzelgewerkschaften, der nach der Ablösung des FDGB-Vorstandes eingesetzt wurde, den Weg frei zu einer „Gründungs- und Kooperationsoffensive“. Damit war der FDGB faktisch aufgelöst. Das Vermögen des FDGB wurde unter den Einzelgewerkschaften aufgeteilt. Die Einzelgewerkschaften nahmen parallel zum Prozess der deutschen Wiedervereinigung Kontakt zu den entsprechenden West-Gewerkschaften auf, um die Möglichkeiten eines Zusammenschlusses auszuloten.


Seit 1990er        Neue Herausforderungen! – Neue Wege?

Nach dem Prozess der deutschen Wiedervereinigung mussten sich die Gewerkschaften 1993 mit der Gründung der Europäischen Union in einen weiteren Einigungsprozess einfinden, diesmal auf europäischer Ebene. Neben dem Aufbau eines gewerkschaftlichen Netzwerkes ging es primär um eine Überarbeitung des Grundsatzprogrammes.

Anfang der 1990er Jahre wurden die zentralen Felder der gewerkschaftlichen Politik neu benannt: Wege zur sozialen Einheit, die Zukunft des Sozialstaates, Gestaltung der Ökonomie, Zukunft der Arbeit, Bildung und Ausbildung, Emanzipation der Frau, Europäische Zusammenarbeit, Wanderungsbewegung und gesellschaftliche Integration, Umwelt, Frieden und Entwicklung, Zukunft der gewerkschaftlichen Interessensvertretung.

Oft diskutiert wurde zudem die Möglichkeit und Notwendigkeit von Mitbestimmung. Das betraf die Mitbestimmung der Mitglieder in den Einzelgewerkschaften ebenso wie die Mitbestimmung des DGB in politischen Fragen und Handlungen.

Im November 1996 verabschiedete der 5. Außerordentliche DGB-Kongress eine Änderung des Vertretungsanspruches. Erstmals erklärte sich der DGB auch für Menschen zuständig, die keine aktiven Arbeitnehmer*innen waren, sondern arbeitslos oder im Ruhestand. Im Zuge dessen wurde auch die Bedeutung von Arbeit neu definiert.

Neu war auch, dass neben der kapitalistisch verfassten Markwirtschaft weitere Ursachen von Unterdrückung und Ausbeutung benannt wurden, so die „Konflikte zwischen den Geschlechtern, zwischen ökonomischer Entwicklung und ökologischer Erneuerung, zwischen zunehmender Globalisierung und ethnischer und nationalistischer Verengung“.

Die inhaltliche Debatte der Gewerkschaften hält auch nach der finalen Verfassung des Grundsatzprogrammes an. Bis heute werden immer wieder viele offene Fragen diskutiert; was kann und soll Solidarität heißen? Wie positioniert sich der DGB im Bereich des Umweltschutzes? Was ist eine gewerkschaftliche Position in der Frage der Rüstungspolitik? Wie kann der Einfluss multinationaler Konzerne in der internationalen gewerkschaftlichen Zusammenarbeit kontrolliert werden?

Eine Beantwortung dieser Fragen versuchen die Gewerkschaften mit weiteren sozial-politischen und gesellschaftlichen Akteur*innen zu geben. Ein wichtiger Schritt ist dabei die 2016 gegründete „Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat – gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt“, dessen Gründungsmitglied der DGB ist.


[1] vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung: https://www.fes.de/hfz/arbeiterbewegung/themen/arbeiterbewegung

[2] Das Projekt „Gewerkschaftsgeschichte“ von der Hans-Böckler-Stiftung diente als Hauptquelle zur Erstellung des Zeitstrahls. Für mehr Informationen und detailliertere Aufschlüsselung der Geschichte empfiehlt sich daher der Blick auf: https://www.gewerkschaftsgeschichte.de/index.html